Klimaneutrale Gebäude: Der neue Standard ab 2026
Ab 2026 gelten in Deutschland verschärfte Energiestandards für Neubauten und umfassende Sanierungen. Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) wird mit neuen Anforderungen an Klimaneutralität zum Gamechanger für die Baubranche. Für Bauherren, Hausbesitzer und die Immobilienbranche bedeutet dies eine grundlegende Veränderung bei Planung, Materialwahl und Heiztechnologien. Dieser Artikel erklärt die neuen Standards und was sie für alle Beteiligten bedeuten.
Die neuen Standards im Überblick
Das überarbeitete Gebäudeenergiegesetz, das ab Januar 2026 in Kraft tritt, setzt neue Maßstäbe für die Energieeffizienz von Gebäuden in Deutschland. Die wichtigsten Eckpunkte:
- Klimaneutralitätsstandard (KN26): Neubauten müssen so konzipiert werden, dass sie über ihren gesamten Lebenszyklus eine nahezu neutrale CO₂-Bilanz aufweisen.
- Erneuerbare-Energien-Pflicht: Mindestens 75 Prozent des Energiebedarfs müssen aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden.
- Primärenergiebedarf: Maximal 30 kWh/m² pro Jahr für Neubauten (bisher 55 kWh/m²).
- Graue Energie: Erstmals wird auch die in Baumaterialien gebundene Energie in die Berechnung einbezogen.
- Verpflichtende Energiespeicher: Bei Photovoltaikanlagen über 7 kWp wird die Installation eines Energiespeichers Pflicht.
Diese Anforderungen gehen deutlich über den bisherigen Effizienzhaus-Standard hinaus und rücken den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes in den Fokus – von der Herstellung der Baumaterialien über die Nutzung bis zum Rückbau.
Die Technologien der klimaneutralen Gebäude
Um die neuen Standards zu erfüllen, werden verschiedene Technologien und Ansätze immer wichtiger:
1. Hocheffiziente Gebäudehülle
Die Gebäudehülle – also Wände, Dach, Fenster und Bodenplatte – ist entscheidend für die Energieeffizienz. Neubauten nach KN26-Standard werden deutlich besser gedämmt sein als heutige Gebäude. Dabei kommen zunehmend ökologische Dämmstoffe wie Holzfaser, Zellulose oder Hanf zum Einsatz, die nicht nur gut dämmen, sondern auch CO₂ binden.
Dreifachverglasung wird zum Standard, wobei smarte Fenster mit automatischer Verschattung und ggf. integrierter Photovoltaik an Bedeutung gewinnen. Auch die Luftdichtheit spielt eine wichtige Rolle, um Wärmeverluste durch Fugen zu minimieren.
2. Erneuerbare Heizsysteme
Für die Wärmeerzeugung setzen klimaneutrale Gebäude auf erneuerbare Energien:
- Wärmepumpen werden zur dominierenden Heizungstechnologie. Sie nutzen Umweltwärme aus der Luft, dem Erdreich oder dem Grundwasser und wandeln sie mit Hilfe von Strom in Heizwärme um. Besonders effizient sind sie in Kombination mit Flächenheizungen (Fußboden- oder Wandheizung).
- Solarthermie zur Warmwasserbereitung und Heizungsunterstützung ergänzt in vielen Fällen die Wärmepumpe.
- Biomasseheizungen (Pellets, Hackschnitzel) können in bestimmten Fällen eine Alternative sein, wenn sie mit Staubfiltern ausgestattet sind und nachhaltig erzeugte Biomasse nutzen.
- Fernwärme ist eine gute Option, wenn sie aus erneuerbaren Quellen oder Kraft-Wärme-Kopplung stammt.
Wasserstoff- oder Brennstoffzellenheizungen befinden sich noch in der Entwicklung, könnten aber in Zukunft eine Rolle spielen, wenn grüner Wasserstoff in ausreichenden Mengen verfügbar ist.
Praxisbeispiel: Nullenergiehaus in München
In München-Riem wurde bereits 2023 ein Mehrfamilienhaus mit 12 Wohneinheiten fertiggestellt, das den kommenden KN26-Standard übertrifft. Das Gebäude erzeugt mit seiner Photovoltaikanlage (35 kWp) mehr Energie als es verbraucht. Die Wärmeversorgung erfolgt über eine Sole-Wasser-Wärmepumpe mit Erdkollektoren in Kombination mit einer Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Die Gebäudehülle besteht aus vorgefertigten Holzmodulelementen mit Zellulosedämmung.
3. Energieerzeugung und -speicherung
Gebäudeintegrierte Photovoltaik wird zum Standard für klimaneutrale Gebäude. Neben klassischen Aufdachanlagen kommen zunehmend in die Fassade oder ins Dach integrierte PV-Module zum Einsatz. Auch transparente PV-Elemente für Fenster und Oberlichter sowie farbige Module für ästhetisch anspruchsvolle Lösungen werden häufiger verbaut.
Um den selbst erzeugten Solarstrom optimal zu nutzen, sind Batteriespeicher unverzichtbar. Sie ermöglichen es, tagsüber erzeugten Strom abends und nachts zu nutzen und erhöhen so den Eigenverbrauchsanteil. Künftige Systeme werden zudem mit dem Stromnetz kommunizieren und netzdienlich betrieben werden können.
4. Smarte Gebäudetechnik
Intelligente Steuerungssysteme optimieren den Energieverbrauch in klimaneutralen Gebäuden:
- Prädiktive Steuerungen berücksichtigen Wettervorhersagen und Nutzungsprofile, um den Energiebedarf zu minimieren.
- Smarte Thermostate regeln jeden Raum individuell und lernen aus dem Nutzerverhalten.
- Energiemonitoring macht den Verbrauch transparent und hilft, Einsparpotenziale zu identifizieren.
- Lastmanagement koordiniert verschiedene Stromverbraucher (Wärmepumpe, E-Auto-Ladestation, Haushaltsgeräte) und optimiert den Eigenverbrauch von Solarstrom.
Diese Systeme werden zunehmend miteinander vernetzt und können über Apps oder Sprachassistenten gesteuert werden, was nicht nur den Komfort erhöht, sondern auch Energieeinsparungen ermöglicht.
"Die Digitalisierung ist ein entscheidender Hebel für klimaneutrale Gebäude. Intelligente Steuerungssysteme können den Energieverbrauch um bis zu 30 Prozent senken, ohne Komforteinbußen für die Bewohner." Prof. Dr. Klaus Schneider, TU München
Auswirkungen auf Kosten und Finanzierung
Die höheren Anforderungen an Neubauten wirken sich naturgemäß auf die Baukosten aus. Nach Berechnungen der Deutschen Energie-Agentur (dena) werden die Mehrkosten für ein klimaneutrales Einfamilienhaus im Vergleich zum aktuellen Standard bei etwa 8-15 Prozent liegen. Dies variiert je nach Region, Bauweise und gewählten Technologien.
Um diese Mehrkosten abzufedern und den Übergang zu erleichtern, hat die Bundesregierung neue Förderprogramme angekündigt:
- KfW-Förderung Klimaneutrales Wohnen: Bis zu 150.000 Euro zinsgünstiges Darlehen plus 15 Prozent Tilgungszuschuss (max. 22.500 Euro) für Neubauten nach KN26-Standard.
- Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG): Zuschüsse und zinsgünstige Kredite für einzelne Maßnahmen wie erneuerbare Heizsysteme oder Gebäudehüllensanierung.
- Steuerliche Abschreibungen: Erhöhte Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen in klimaneutrale Gebäudetechnik.
Neben diesen Fördermitteln sind auch neue Finanzierungsmodelle im Entstehen, die die langfristigen Einsparungen bei den Betriebskosten berücksichtigen. Einige Banken bieten bereits jetzt günstigere Zinsen für besonders energieeffiziente Gebäude an.
Wirtschaftlichkeitsbetrachtung: Einfamilienhaus nach KN26
- Mehrkosten gegenüber aktuellem Standard: ca. 35.000 Euro
- Fördermittel (Zuschuss): ca. 22.500 Euro
- Tatsächliche Mehrkosten: ca. 12.500 Euro
- Jährliche Einsparung Energiekosten: ca. 1.200 Euro
- Amortisationszeit: ca. 10-12 Jahre
Herausforderungen für Bestandsgebäude
Der neue Standard gilt zunächst nur für Neubauten und umfassende Sanierungen. Doch auch für Eigentümer bestehender Gebäude ergeben sich Handlungsbedarfe, denn das langfristige Ziel ist ein klimaneutraler Gebäudebestand bis 2045.
Die wichtigsten Ansatzpunkte für Bestandsgebäude sind:
- Heizungstausch: Die Umstellung auf erneuerbare Heizsysteme ist ein wichtiger erster Schritt. Das Gebäudeenergiegesetz schreibt bereits heute vor, dass Heizungen, die älter als 30 Jahre sind, ersetzt werden müssen.
- Schrittweise Dämmung: Bei anstehenden Renovierungen sollten einzelne Bauteile (Dach, Fassade, Fenster) auf einen hohen energetischen Standard gebracht werden.
- Solarstromerzeugung: Die Installation einer PV-Anlage ist in vielen Fällen auch ohne umfassende Sanierung sinnvoll.
- Sanierungsfahrplan: Ein individueller Sanierungsfahrplan hilft, die Maßnahmen sinnvoll zu priorisieren und aufeinander abzustimmen.
Für die schrittweise Sanierung von Bestandsgebäuden stehen ebenfalls Fördermittel zur Verfügung, wobei die höchsten Zuschüsse für umfassende Maßnahmen gewährt werden, die das Gebäude auf einen klimaneutralen Standard bringen.
Auswirkungen auf die Bau- und Immobilienbranche
Der neue Standard stellt die gesamte Branche vor Herausforderungen, bietet aber auch Chancen für Innovationen und neue Geschäftsmodelle:
Veränderungen im Planungsprozess
Die ganzheitliche Betrachtung des Gebäudelebenszyklus erfordert eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Architekten, Fachplanern und Energieberatern bereits in frühen Planungsphasen. Digitale Planungsmethoden wie Building Information Modeling (BIM) gewinnen an Bedeutung, da sie eine präzise Analyse und Optimierung von Energieflüssen und Materialeinsatz ermöglichen.
Neue Anforderungen an Handwerk und Bauunternehmen
Für Handwerksbetriebe bedeutet der Standard eine Notwendigkeit zur Weiterbildung und Spezialisierung. Insbesondere in der Gebäudetechnik sind vertiefte Kenntnisse zu komplexen Systemen wie Wärmepumpen, Photovoltaik mit Speicher oder smarter Steuerungstechnik erforderlich.
Gleichzeitig eröffnen sich neue Geschäftsfelder, etwa im Bereich Monitoring und Wartung von Anlagen oder bei der digitalen Gebäudesteuerung. Der Fachkräftemangel bleibt jedoch eine der größten Herausforderungen für die Umsetzung der Energiewende im Gebäudesektor.
Wandel in der Baustoffindustrie
Die Berücksichtigung der grauen Energie führt zu einer stärkeren Nachfrage nach ökologischen Baustoffen mit geringem CO₂-Fußabdruck. Holz als nachwachsender Rohstoff gewinnt ebenso an Bedeutung wie recycelte Materialien und innovative Produkte wie CO₂-reduzierter Zement oder Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen.
Hersteller sind zunehmend gefordert, Umweltproduktdeklarationen (EPDs) für ihre Produkte zu erstellen, die transparent über den ökologischen Fußabdruck informieren.
Praktische Tipps für Bauherren und Sanierungswillige
Wenn Sie in den nächsten Jahren bauen oder sanieren möchten, sollten Sie folgende Aspekte berücksichtigen:
- Frühzeitige Planung: Beziehen Sie Energieberater und Fachplaner frühzeitig ein, um das Gebäudekonzept zu optimieren und Fördermittel zu sichern.
- Ganzheitliche Betrachtung: Berücksichtigen Sie neben den Investitionskosten auch die langfristigen Betriebs- und Wartungskosten.
- Zukunftssicherheit: Planen Sie mit Reserven bei technischen Systemen und Anschlüssen, um künftige Erweiterungen zu ermöglichen.
- Monitoring: Integrieren Sie ein Energiemonitoringsystem, um den tatsächlichen Verbrauch zu überwachen und zu optimieren.
- Planerqualifikation: Achten Sie auf Erfahrung mit energieeffizienten Gebäuden bei der Auswahl von Planern und Handwerkern.
Fazit: Ein wichtiger Schritt zur Klimaneutralität
Der neue Klimaneutralitätsstandard für Gebäude ab 2026 ist ein ambitionierter, aber notwendiger Schritt, um die Klimaziele im Gebäudesektor zu erreichen. Er wird die Art und Weise, wie wir bauen und sanieren, grundlegend verändern und zu innovativen Lösungen führen.
Auch wenn die höheren Anforderungen zunächst mit Mehrkosten verbunden sind, bieten klimaneutrale Gebäude langfristig wirtschaftliche Vorteile durch niedrigere Betriebskosten und eine höhere Wertstabilität. Zudem schützen sie vor künftigen Energiepreissteigerungen und steigenden CO₂-Abgaben.
Für Bauherren, Hausbesitzer und die gesamte Baubranche bedeutet der neue Standard sowohl Herausforderung als auch Chance. Wer sich frühzeitig mit den Anforderungen auseinandersetzt und zukunftsorientiert plant, wird vom Wandel profitieren können.
Und nicht zuletzt leistet jedes klimaneutrale Gebäude einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz – denn der Gebäudesektor ist für etwa 35 Prozent des Energieverbrauchs und 30 Prozent der CO₂-Emissionen in Deutschland verantwortlich.