Während Sonne und Wind in der öffentlichen Diskussion über erneuerbare Energien oft im Mittelpunkt stehen, leistet Biomasse einen konstanten und wichtigen Beitrag zur deutschen Energiewende. Mit einem Anteil von über 7% am deutschen Primärenergieverbrauch und etwa 8% an der Stromerzeugung ist Biomasse ein unterschätzter Riese unter den erneuerbaren Energien. Dieser Artikel beleuchtet die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten, Potenziale und Herausforderungen der Bioenergie in Deutschland.

Die vielseitige Basis der Energiewende

Im Gegensatz zu anderen erneuerbaren Energien zeichnet sich Biomasse durch ihre Vielseitigkeit aus. Sie kann zur Erzeugung von Strom, Wärme und Kraftstoffen eingesetzt werden und ist zudem speicherbar – ein entscheidender Vorteil gegenüber den fluktuierenden Energieträgern Sonne und Wind. Biomasse umfasst eine breite Palette an organischen Materialien:

  • Holz und Holzreste aus der Forst- und Holzwirtschaft
  • Energiepflanzen wie Mais, Raps und schnellwachsende Hölzer
  • Stroh und Restmaterialien aus der Landwirtschaft
  • Bioabfälle aus Haushalten und der Industrie
  • Klärschlamm und organische Abwässer

Diese breite Rohstoffbasis macht die Biomasse zu einem stabilen Fundament der Energiewende. Während die Leistung von Solar- und Windkraftanlagen wetterabhängig schwankt, kann Biomasse kontinuierlich zur Energieversorgung beitragen und so zur Netzstabilität beitragen.

Aktuelle Nutzung in Deutschland

Die Nutzung von Biomasse in Deutschland hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark entwickelt. Derzeit sind über 8.000 Biogasanlagen mit einer elektrischen Gesamtleistung von etwa 5,5 GW in Betrieb. Hinzu kommen rund 700 Biomasseheizkraftwerke und mehr als zwei Millionen Holzheizungen in privaten Haushalten.

Biomassenutzung in Deutschland (2024):

  • Stromerzeugung: ca. 45 TWh (8% des deutschen Strombedarfs)
  • Wärmeerzeugung: ca. 170 TWh (12% des deutschen Wärmebedarfs)
  • Kraftstoffe: ca. 30 TWh (5,5% des Kraftstoffverbrauchs im Verkehr)
  • Anzahl der Arbeitsplätze in der Branche: ca. 130.000

Ein besonderer Vorteil der Biomassenutzung liegt in der regionalen Wertschöpfung. Die Bereitstellung der Rohstoffe, der Anlagenbau und -betrieb sowie die Wartung schaffen Arbeitsplätze im ländlichen Raum und stärken regionale Wirtschaftskreisläufe.

Biogas: Flexibler Stromerzeuger und Wärmequelle

Biogasanlagen haben sich in den letzten Jahren zu einer wichtigen Säule des deutschen Energiesystems entwickelt. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wurde ihre Entwicklung stark gefördert, wobei der Fokus inzwischen verstärkt auf der flexiblen Stromerzeugung liegt.

Moderne Biogasanlagen können ihre Leistung innerhalb weniger Minuten anpassen und so auf Schwankungen bei anderen erneuerbaren Energien reagieren. Dadurch übernehmen sie eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung des Stromnetzes. Besonders in Zeiten mit wenig Wind und Sonnenschein können sie die Versorgungslücke schließen.

"Biogasanlagen sind die Allrounder der Energiewende. Sie liefern nicht nur Strom nach Bedarf, sondern auch Wärme und können sogar zur Kraftstoffproduktion genutzt werden. Ihre Flexibilität macht sie zu einem unverzichtbaren Element in einem erneuerbaren Energiesystem." Prof. Dr. Klaus Müller, Universität Rostock

Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit der Kraft-Wärme-Kopplung. Viele Biogasanlagen speisen ihre Abwärme in lokale Wärmenetze ein und erreichen dadurch Gesamtwirkungsgrade von über 80 Prozent. Im baden-württembergischen Dorf Heuberg wird beispielsweise ein Wärmenetz betrieben, das 120 Haushalte mit Wärme aus einer Biogasanlage versorgt.

Holzenergie: Traditionell und innovativ zugleich

Die Nutzung von Holz als Energieträger hat in Deutschland eine lange Tradition. Von modernen Pelletheizungen in Einfamilienhäusern bis hin zu großen Biomasseheizkraftwerken für ganze Stadtteile – Holzenergie deckt ein breites Spektrum ab.

Im bayrischen Schongau versorgt ein Biomasseheizkraftwerk mit einer thermischen Leistung von 15 MW über 90 Prozent der Gebäude des Stadtteils mit Wärme aus regionalem Holz. Das Beispiel zeigt, wie Holzenergie zur kommunalen Wärmewende beitragen kann.

Innovative Ansätze gibt es auch bei der Nutzung von Holzgas zur Stromerzeugung. Holzvergaser-Blockheizkraftwerke erreichen höhere elektrische Wirkungsgrade als konventionelle Verbrennungsanlagen und eignen sich besonders für dezentrale Anwendungen.

Biokraftstoffe: Vom Acker in den Tank

Im Verkehrssektor, der bisher nur langsam Fortschritte bei der Reduktion von Treibhausgasemissionen macht, spielen Biokraftstoffe eine wichtige Rolle. In Deutschland werden derzeit hauptsächlich Biodiesel (aus Raps und anderen Ölpflanzen) sowie Bioethanol (aus zuckerhaltigen Pflanzen) eingesetzt.

Die Diskussion um die Nachhaltigkeit von Biokraftstoffen der ersten Generation hat zu strengen Zertifizierungsanforderungen geführt. Inzwischen liegt der Fokus verstärkt auf fortschrittlichen Biokraftstoffen aus Rest- und Abfallstoffen. So wird in einer Anlage in Schwedt Biodiesel aus Altspeisefetten hergestellt, während in Zörbig Bioethanol aus Stroh produziert wird.

Besonders vielversprechend ist die Entwicklung von Bio-LNG (verflüssigtes Biomethan) für den Schwerlastverkehr und die Schifffahrt. In Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern) entsteht derzeit Deutschlands größte Bio-LNG-Anlage, die jährlich bis zu 9.000 Tonnen klimaneutralen Kraftstoff produzieren soll.

Nachhaltigkeitsfragen und ökologische Aspekte

Die Nutzung von Biomasse steht immer wieder in der Kritik, besonders wenn es um den Anbau von Energiepflanzen auf landwirtschaftlichen Flächen geht. Die "Teller oder Tank"-Debatte hat zu einer verstärkten Regulierung geführt: Der Anteil von Biokraftstoffen aus Nahrungsmittelpflanzen ist gedeckelt, und die Nachhaltigkeitskriterien wurden verschärft.

Um die Flächenkonkurrenz zu entschärfen, gibt es verschiedene Lösungsansätze:

  • Nutzung von Rest- und Abfallstoffen: Von Gülle über Bioabfälle bis hin zu Stroh und Waldrestholz gibt es zahlreiche Biomassepotenziale, die keine zusätzlichen Flächen benötigen.
  • Mehrfachnutzungskonzepte: Agroforstsysteme, bei denen auf derselben Fläche sowohl Energiepflanzen als auch Nahrungsmittel angebaut werden, gewinnen an Bedeutung.
  • Biodiversitätsfördernde Anbaumethoden: Mehrjährige Energiepflanzen wie die Durchwachsene Silphie oder Wildpflanzenmischungen bieten ökologische Vorteile gegenüber intensiven Monokulturen.

Ein Beispiel für innovative Ansätze ist das Projekt "Energie aus Wildpflanzen" im brandenburgischen Oderbruch. Auf 50 Hektar werden artenreiche Wildpflanzenmischungen für die Biogasproduktion angebaut, die gleichzeitig Lebensraum für Insekten und Wildtiere bieten.

Neue Technologien und Zukunftsperspektiven

Die Forschung zu Biomasse konzentriert sich heute auf die Steigerung der Effizienz, die Erschließung neuer Rohstoffquellen und die intelligente Integration in das Energiesystem. Mehrere vielversprechende Technologien stehen vor dem Durchbruch:

  • Power-to-Gas-Kopplung: Überschüssiger Wind- und Solarstrom wird genutzt, um mittels Elektrolyse Wasserstoff zu erzeugen, der dann mit CO₂ aus Biogasanlagen zu Methan umgewandelt wird. Dieses synthetische Methan kann im bestehenden Erdgasnetz gespeichert werden.
  • Hydrothermale Karbonisierung (HTC): Diese Technologie ermöglicht die Umwandlung von feuchter Biomasse (wie Klärschlamm oder Gärresten) in kohleähnliche Produkte mit hoher Energiedichte.
  • Biokohle und Terra Preta: Durch Pyrolyse von Biomasse entsteht Biokohle, die als Bodenverbesserer eingesetzt werden kann und gleichzeitig CO₂ langfristig bindet.

Besonders interessant ist das Konzept der Kohlenstoffsenken. Wenn Biomasse nachhaltig angebaut und energetisch genutzt wird, wobei das entstehende CO₂ abgeschieden und gespeichert wird (Bio-Energy with Carbon Capture and Storage, BECCS), können sogar negative Emissionen erzielt werden – ein entscheidender Beitrag zum Erreichen der Klimaneutralität.

Im niedersächsischen Lohne wird derzeit eine Pilotanlage betrieben, die CO₂ aus einer Biogasanlage abscheidet und in der Lebensmittelindustrie nutzbar macht. Solche Kreislaufkonzepte zeigen das Potenzial für innovative Biomassenutzung.

Regionale Erfolgsgeschichten

In vielen Regionen Deutschlands trägt Biomasse bereits erheblich zur Energieversorgung bei. Besonders in ländlichen Gebieten haben sich Bioenergie-Dörfer und -Regionen etabliert, die als Vorbild für eine dezentrale Energiewende dienen können:

  • Jühnde in Niedersachsen: Das erste Bioenergiedorf Deutschlands deckt seinen Wärme- und Strombedarf komplett aus regionaler Biomasse.
  • Energieregion Oberland: In dieser bayrischen Region werden über 35% des Wärmebedarfs durch Biomasse gedeckt, hauptsächlich Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft.
  • Bioenergiepark Saerbeck: Diese Gemeinde in Nordrhein-Westfalen kombiniert Biogas mit Solar- und Windenergie und hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 klimapositiv zu werden.

Diese Beispiele zeigen, dass Biomasse besonders in Kombination mit anderen erneuerbaren Energien ihr volles Potenzial entfalten kann. Die dezentrale Energieversorgung stärkt zudem die regionale Wirtschaft und erhöht die Akzeptanz für die Energiewende.

Herausforderungen und Lösungsansätze

Trotz aller Erfolge steht die Bioenergie vor erheblichen Herausforderungen. Viele Biogasanlagen der ersten Generation laufen in den nächsten Jahren aus der EEG-Förderung und müssen neue Geschäftsmodelle entwickeln. Die verschärften Emissionsanforderungen für Holzheizungen erfordern Nachrüstungen, und die Diskussionen um Flächenkonkurrenz halten an.

Lösungsansätze umfassen:

  • Flexibilisierung: Umrüstung von Biogasanlagen für die bedarfsgerechte Stromerzeugung
  • Kaskadennutzung: Biomasse wird zunächst stofflich (z.B. als Baumaterial) und erst am Ende ihres Lebenszyklus energetisch genutzt
  • Effizienzsteigerung: Moderne Anlagen mit höheren Wirkungsgraden und besserer Emissionsminderung
  • Sektorenkopplung: Integration von Biomasse in hybride Energiesysteme mit Wind, Solar und Speichern

Ein vielversprechendes Beispiel ist die Biogasanlage in Könnern (Sachsen-Anhalt), die als "Virtuelles Kraftwerk" flexibel auf Preissignale am Strommarkt reagiert und mit einem großen Wärmespeicher gekoppelt ist. Diese Anlage zeigt, wie Biomasse als regelbare erneuerbare Energie im Strommarkt der Zukunft agieren kann.

Fazit: Biomasse als unverzichtbarer Teil der Energiewende

Biomasse ist und bleibt ein wichtiger Baustein der deutschen Energiewende. Ihre Stärken – Speicherbarkeit, Flexibilität und vielseitige Einsetzbarkeit – machen sie zu einem idealen Ergänzungspartner für die fluktuierenden erneuerbaren Energien Wind und Sonne.

Die größte Herausforderung liegt darin, das begrenzte Potenzial nachhaltig verfügbarer Biomasse optimal zu nutzen. Der Fokus sollte auf Rest- und Abfallstoffen, hocheffizienten Umwandlungstechnologien und der intelligenten Systemintegration liegen.

Wenn es gelingt, die Biomassenutzung ökologisch verantwortungsvoll und effizient zu gestalten, wird dieser unterschätzte Riese auch in Zukunft einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen der Energiewende leisten – besonders in Bereichen, die mit anderen erneuerbaren Energien schwer zu dekarbonisieren sind, wie der Prozesswärme in der Industrie oder Teilen des Verkehrssektors.